A_Teufel


Der Teufel auf Erden 
Die Rundfunkaufnahme
Foto: Stadttheater Chemnitz
Die Wiedererweckung von Suppés 1878 uraufgeführten Operette „Der Teufel auf Erden“ durch das Stadttheater Chemnitz (in Koproduktion mit der Wiener Volksoper) ist der wohl wichtigste und nachhaltigste Beitrag zum ansonsten eher bescheiden ausgefallenen Suppé Jahr anlässlich seines 200. Geburtstages. Wichtig, weil nach magerer Präsenz wieder einmal eine Suppé Operette auf einem deutschen Theaterspielplan steht (und 2020 auch in Wien, wo der Schöpfer der Wiener Operette noch seltener gespielt wird). Wichtig auch, weil, wie man so liest, das Publikum die Chemnitzer Aufführung begeistert aufgenommen hat. Zur Nachhaltigkeit zählt, dass der MDR in Koproduktion mit dem BR die Operette nach der Vorstellung im Theater Chemnitz aufgenommen hat und dass es daraus auch eine CD geben wird. Zur Nachhaltigkeit zählt hoffentlich auch, dass sich gestandene Theaterleute mal wieder intensiv mit dem Werk Suppés auseinandergesetzt haben.

Zuvor gab es vom „Teufel auf Erden“ 2019 eine einmalige konzertante Aufführung im Brucknerhaus Linz und 2016 eine modernisierte Fassung durch das Münchner Akademietheater, bei der aber von Suppés Originalmusik nur noch wenig Substanz übrig geblieben ist. Beides ist kaum nachhaltig, ebenso wenig wie eine Rundfunkaufnahme von 1984 mit dem ORF Symphonieorchester unter Paul Angerer, von der es bis heute noch keine CD gibt. 

Während Paul Angerer noch die Originalfassung des Werkes einspielte, hat nun das Theater Chemnitz eine textliche Neufassung von Alexander Kuchinka (der auch eine der Hauptrollen übernommen hat) und eine revidierte musikalische Fassung von Jakob Brenner (der auch die Robert-Schumann-Philharmonie leitet) herausgebracht.

Die textliche Neufassung

Um es vorwegzunehmen: wie man lesen und hören konnte haben sich nach der Premiere ganze „fünf“ Besucher, die das Original kannten, gefragt, warum denn eine Neufassung des Librettos notwendig gewesen sei. Der weitaus größte Teil des Publikums zeigte sich von der so dargestellten Geschichte durchaus angetan. Nun muss man zugestehen, dass die Originalhandlung, die ganz aktuell zur Zeit der Entstehung der Operette spielt, einem heutigen Publikum nicht mehr so ohne weiteres zu vermitteln ist. Schon gar nicht mehr erschließen sich diverse Bezüge zu früheren Werken Suppés (siehe hierzu die Inhaltsbeschreibung des Werkes). Der Bearbeiter hat versucht, über eine Zeitreise das Publikum gewissermaßen „mit der Nase darauf zu stoßen“, dass zwei Episoden in früheren Jahrhunderten spielen. Im Großen und Ganzen hat er aber das Grundgerüst der Handlung beibehalten und nur einige Details verändert (die Grundthese des Librettos lautet sinnigerweise „Der Teufel steckt im Detail“).

Sowohl im Original als auch in der Neufassung findet das Vorspiel in der Hölle statt. Im Original gibt es dort eine Rebellion gegen Satanas, den Höllenfürsten. Die Unterteufel verlangen nach einer Verfassung (Konstitution). In der Rundfunkaufnahme, in welcher auch einige der Protagonisten zu Wort kommen, spricht Alexander Kuchinka von der aktuellen politischen Brisanz, die zu Zeiten der Uraufführung vor allem in diesem Vorspiel steckte. Das ist natürlich heute nicht mehr so brisant, denn wir haben ja im Unterschied zu 1878 eine Verfassung – es sei denn, es ginge darum, diese zu verteidigen, was dann wiederum ganz aktuell wäre. Kuchinka hat sich einen anderen aktuellen Kniff ausgedacht. Während im Original Satanas die Rebellion niederschlagen will und dazu zur Unterstützung die drei Teufel Lucifer, Samuel und Beelzebub benötigt, die aber aus einem Urlaub auf der Erde noch nicht zurückgekommen sind, ist es in der Bearbeitung Satan selbst, der auf die Erde flüchtet, da ihm die Hölle zu voll geworden ist. Jedermann trachtet heute danach, in die Hölle zu kommen, ist die originelle Aussage.

Der Höllenknecht Ruprecht macht sich nun auf die Suche nach Satan. Im ersten Akt landet er in seiner Zeitreise in einem Kloster des 17. Jahrhunderts - im Original verschlägt es Satanas selbst mit seinem Haushofmeister Mephistofeles in ein Damenstift zur Zeit der Uraufführung. Mephistofeles wird in der Bearbeitung durch den Engel Rupert ersetzt, der in dem Kloster irgend eine Aufgabe zu erfüllen hatte, diese aber in der Zwischenzeit vergessen hat. Er, der außer für Ruprecht für alle anderen Personen unsichtbar ist, schließt sich dem Höllenknecht bei der Suche nach Satan an. Die Intrigen um die Oberin Aglaja sind nun in beiden Versionen ähnlich, nur dass aus den Kadetten Isidor und Reinhard nun die gleichnamigen Wanderburschen werden und während im Original Isidor lediglich Amanda mit Reinhards Unterstützung aus dem Damenstift entführen will, wollen die Wandergesellen im Kloster wertvolle Reliquien stehlen. Da sich aber Isidor in die Nonne Amalia verliebt, lässt er sein Diebesvorhaben fallen. Ruprecht entdeckt in der Oberin zwar Satans Tochter, nicht aber Satan selbst, so dass er weiter suchen muss. (Im Original entdeckt Satanas in Aglaja den Teufel Lucifer und schickt ihn in die Hölle zurück.)

Im 2. Akt, den man beinahe gar nicht hätte verändern müssen, landen Ruprecht und Rupert in einer Kaserne des 18. Jahrhunderts (im Original Kadettenanstalt des 19. Jahrhunderts). Die Kadetten feiern in Abwesenheit ihres Obersten Donnerkeil und befreien dessen beiden Nichten, welche zeitweise in der Kaserne wohnen und die ihr Onkel während seiner Abwesenheit in ihrem Zimmer eingesperrt hat. Im Original feiern die Kadetten um Isidor und Reinhard die Befreiung Amandas aus dem Damenstift gleich mit einer ganzen Balletttruppe - was eigentlich lustiger ist. In beiden Versionen kommt der Oberst zur Unzeit hinzu. Die Kadetten stecken die Mädchen in Uniformen, was der Oberst aber bemerkt. Im Original tut er aber so, als bemerke er es nicht, da er sich ebenfalls amouröse Abenteuer verspricht. Brisanter wird’s in der Neufassung. Der Onkel will die Nichten nicht nur um ihr Erbe bringen sondern sich an ihnen auch vergehen. In beiden Fällen wird der Teufel, der in ihm steckt, enttarnt, diesmal Samuel im Original, der in die Hölle zurückgeschickt wird,  Satan in der Bearbeitung, der aber entwischt.  

Der dritte Akt spielt im Original in einem Ballettsaal, in der Neufassung in einer 
Tanzschule im Hier und Jetzt. In beiden Fassungen wird ein Menuett bzw. eine Polonaise einstudiert. Die Neufassung kann dies geschickt damit begründen, dass wir Eleven bei den Proben zur Eröffnung des Opernballs beiwohnen. Die im Original durchgängigen Paare verändern im Laufe der Neufassung nur leicht ihre Namen, jetzt in Rainer, Ismael, Amira und Isgar und ihre auch im Original schon eher nebensächliche Handlung (es ging ja immer hauptsächlich darum, den Teufel in Menschengestalt zu finden), löst sich in der Neubearbeitung dadurch auf, dass nicht mehr ganz klar wird, wer es eigentlich mit wem hat. Sie hängen ständig an den Smartphones und Ruprecht, vom dem die jungen Leute keinerlei Notiz nehmen, konstatiert, dass ihre (kleinen) Teufeleien darin bestehen, dass sie selbstsüchtig nur um sich selbst kreisen. Zusammen mit Rupert kommt er, wie Satan auch, zu dem Schluss, dass der Teufel sich auf Erden wohler fühlt als in der Hölle. Der Teufel steckt sozusagen in Jedem, er steckt im Detail. (Im Original findet Satanas den letzten ausbleibenden Teufel Beelzebub nicht und nimmt an, dass er in Jedem in irgendeiner Weise steckt).

Für die Rundfunkaufnahme wurden vor allem die Dialoge erheblich gekürzt, dafür trat Ruprecht auch als Erzähler in Erscheinung. Zumindest in dieser Rundfunkfassung fällt auf, dass sowohl die noch verbliebenen Dialoge als auch die Erzählung sehr aufgesetzt wirken und so gut wie pointenfrei daherkommen. Schade, dass Kuchinka keine der in den Originaldialogen vorkommenden geistreichen Faust-Zitate übernommen hat. Manche Kritiker, welche die Theateraufführung besucht hatten, sprechen dann auch von „äußerst schwachen Texten“, von „Dialogen [die] in ihren ganzen (Über)längen“ vorgetragen wurden oder „Pointen, die nicht zünden“. Es gab aber auch andere Sicht- und Hörweisen; so schreibt einer der Kritiker, in Bezug auf die Figuren Ruprecht und Rupert davon, „wie köstlich deren Dialoge und Spiel“ gewesen sei.

Die „musikalisch revidierte Fassung“

Hier frage ich mich, woraus diese bestehen soll. Einige Anpassungen an geänderte Melodienfolgen, andere Stimmlagen, evtl. einige stärker betonte musikalische Effekte, mehr konnte ich glücklicherweise nicht heraushören. Jakob Brenner hat ja in seinen Anmerkungen auch betont, er habe nicht eine Note an der Suppé'schen Original-Partitur ändern müssen.

Die Kritik, dass die Musik im dritten Akt nicht in unsere Zeit passe, muss etwas relativiert werden. Die Titel, die Ruprecht und Rupert zu singen haben, müssen nicht zeitnah sein. Die Polonaise passt auch heutzutage noch zu einem Opernball und das spanisch akzentuierte Lied von 1878 wird als Operntitel, mit welchem die Sängerin bereits bei „Voice of Germany“ hatte punkten wollen, kaschiert. Lediglich das Marschquartett der jungen Leute fällt dann wirklich aus der Zeit.

Die musikalische Umsetzung

Die Leistung der Sängerinnen und Sänger finde ich gut, teilweise besser als die der Paul Angerer-Aufnahme. Das Orchester spielt präzise, manchmal etwas trompetenlastig, was aber den Höllen- und Kadettenszenen zu gute kommt. Dass die Tempi zu getragen gespielt wurden, wie ein Krtiker bemängelte, ist mir nur gelegentlich aufgefallen.

Fazit

Meiner Meinung nach wäre keine komplette Neufassung des Textes mit Zeitreise und neuen bzw. anderen Figuren notwendig gewesen. Einige der aktualisierten Themen wie Missbrauch, Menschen- und Reliquienhandel hätte man auch in eine revidierte Textfassung integrieren können. Im dritten Akt hat man gar eine Chance vergeben. Der Ballettmeister singt ein Couplet über das zur Uraufführungszeit ganz neu erfundene Telefon und beklagt sich über diese verflixte neue Technik. Hier hätte man eine Brücke ins Heute schlagen können, in dem beispielsweise Satanas in einer darzustellenden Vision erklärt, dass es in Zukunft noch viel „nervigere“ technische Entwicklungen gibt. In dieser Vision hätte man auch, kurz vor der Rückkehr der beiden Teufel in die Hölle noch einige der neueren Gags aus dem Vorspiel unterbringen können.

Uwe Aisenpreis
Juli 2019
Share by: