Ein kleines, englisches Orchester, das sich auf Wiener Unterhaltungsmusik spezialisiert hat, 36 Musiker stark, die sich z. T. aus professionellen Musikanten und aus Amateuren zusammensetzen, das
und in erster Linie sein Dirigent, Dario Salvi, haben das Wunder vollbracht, eine fast völlig vergessene klassische Wiener Operette,
von Franz von Suppé, wieder zum Leben zu erwecken. Dario Salvi hat aus Begeisterung für dieses Werk die Mühen auf sich genommen, eine verschollene Partitur und ein ebensolches englisches Libretto ausfindig zu machen, beides aufführungsreif zu bearbeiten und einzustudieren, und all das nur für eine einmalige konzertante Aufführung. Üblicherweise wird man sagen, ein solches Projekt ist für einen einzelnen Mann ein paar Nummern zu groß. Aber am Ende der Bemühungen gab es ein aktuelles Aufführungsmaterial, ein Buch mit Librettos in drei Sprachen, eine konzertante Aufführung und jetzt eine CD – und das alles mit minimalem Budget. Zu letzterem: Es hat eigentlich auf der Hand gelegen, dass man für das völlig unbekannte Werk eines in England kaum bekannten Komponisten und die Aufführung eines solchen Werkes durch ein außerhalb seiner Region unbekanntes Orchesters nicht viele Geldgeber finden wird.
Über eine Kritik zur Aufführung von der Bloggerin Charlotte Valori
habe ich bereits berichtet. Nun gibt es anlässlich des Erscheinens der CD eine weitere Kritik und zwar von Kevin Clarke, dem Betreiber des
Operetta Research Centers. Ich selbst konnte die CD inzwischen mehrmals abhören und kann nun auch mitreden.
Wie in dem früheren Artikel bereits erwähnt, ließ Charlotte Valori von einer Ausnahme abgesehen kein gutes Haar an den Sängerinnen und Sängern, lobte dagegen das Orchester in den Himmel. Kevin Clarke dagegen hat auch am Orchester einiges auszusetzen und meint, dass speziell die Holzbläser öfters mal „daneben“ seien. „Charmant“ weist er darauf hin, dass man dadurch aber eine interessante Hörerfahrung mache. Die historischen Aufführungen in Wien 1883 oder Boston 1884 hätten ja keine erstklassigen Orchester gehabt. Wenn man Suppés Musik auf die jetzt eingespielte Weise höre, erhalte man eine gewisse Vorstellung, wie das damals geklungen haben könnte. Das mag ja für den historisch Interessierten spannend sein, allerdings sind wir halt heutzutage von Symphonieorchestern sehr verwöhnt. Ich würde nicht so weit gehen wollen, dass falsch gespielt wird, aber öfters bemerke ich eine zu starke Betonung der Blechbläser, so dass man zuweilen den Eindruck eines Blasorchesters gewinnt. Unterm Strich aber kann ich feststellen, dass das Orchester sehr wohl den Sound getroffen hat, um der „verspielten und hochentwickelten Partitur Suppés“ (wie sich Charlotte Valerie ausdrückte ) gerecht zu werden. Vergleiche mit der Slowakischen Staatsphilharmonie, welche einige instrumentalen Titel aus der Afrikareise
eingespielt hat, ermöglichen diese Einschätzung.
Auch Kevin Clarke kritisiert die Sängerinnen und Sänger in ähnlicher Weise wie Charlotte Valori und vergleicht deren Leistung im Prinzip mit Amateuren von Gilbert & Sullivan-Aufführungen. Ich kann mich den Kritiken an den Gesangssolisten prinzipiell anschließen. Ohne allzu sehr ins Detail zu gehen, möchte ich doch drei davon herausgreifen: der Sänger des Fanfani Pascha singt mit brüchiger Stimme – nun gut, er stellt ja auch einen alternden Mann dar. Der Sänger des Prinzen Antarsid, immerhin eine tragende Rolle, hat zwar eine elegante Tenorstimme, singt aber ohne jegliche Betonung vom Blatt und wirkt wie eine lahme Ente. Hauptsächlich er macht einiges an der guten Wirkung des Orchesters kaputt. Und dann wäre da noch die Sängerin der Sklavin Sebil. Bei ihr habe ich tatsächlich den Eindruck, dass sie nicht nur schrill sondern auch daneben singt. Glücklicherweise hat sie nur zwei kurze Auftritte im ersten Akt. Die mäßige Leistung der Gesangssolisen bringt es dann auch mit sich, dass der Dirigent sich offenbar genötigt sah, häufig das Tempo des Vortrags erheblich zu drosseln, was oftmals lähmend wirkt. Ich habe solches allerdings auch schon bei namhaften deutschen Künstlern erlebt, beispielsweise bei einer der bekanntesten Aufnahmen des Boccaccio. Eine Lanze muss ich für die Sängerinnen und Sänger dann aber doch brechen. Sie wirken immer dann besser, wenn sie miteinander singen. Schwierigste mehrstimmige Ensembles meistern sie bravourös. Auch der harschen Kritik der Charlotte Valori am Chor, dem sie vorwirft, „selten zusammen auf einer Linie zu singen und häufig die Ergebnisse des Orchesters verdorben zu haben“, kann ich so nicht zustimmen.
Beide Kritiker beurteilen übrigens aufgrund des gehörten das Werk selbst sehr positiv. Das bedeutet doch immerhin, dass die Gesamtleistung des Imperial Vienna Orchesters
in der Art war, „den musikalischen Wert dieses Projektes überzeugend zu demonstrieren“ (Valori). Kevin Clarke findet, dass diese CD darum ein Muss für jeden Sammler sei, der an Suppé und an weniger bekannten Operetten, gesungen in englischer Sprache, interessiert sei. Und ich finde, dass diese CD es erstmals seit vielen Jahrzehnten ermöglicht, „sich des Melodien- und Ideenreichtums der kraftvollen Ensembleschöre und Finales, dieser Fülle berauschender Musik, die aus einer solchen Operette wie Die Afrikareise
herausgeschöpft werden kann, zu erfreuen“, wie es die Wiener Zeitung noch 1924 formulierte.
Beide, Valori und Clarke, fordern darüber hinaus aber professionelle Ensembles dazu auf, sich dieser Operette weiter anzunehmen. Diesen Verdienst können sich Dario Salvi und sein Ensemble mindestens zurechnen. Ein vielleicht noch größerer Verdienst Salvis ist es aber, dass er ein brauchbares Aufführungsmaterial erstellt hat, das es zukünftigen Akteuren einfacher macht, das Werk auf die Bühne oder zumindest in den Konzertsaal zu bringen. Dass allerdings vielleicht die Ohio Light Opera
eine mehr Amerikanische Version präsentieren oder gar ein bedeutender Leiter eines Wiener Symphonieorchesters sich des Werkes annehmen wird, wie Kevin Clarke hofft, dürfte wohl ein Wunschtraum sein. Bisher ist nichts zu konkreten Absichten in einer dieser Richtungen bekannt.
Somit dürften wir uns noch eine ganze Zeit mit der jetzt vorliegenden CD begnügen müssen. Das eingangs erwähnte minimale Budget von Dario Salvis Projekt bringt es mit sich, dass auch kein üblicher Vertriebsweg besteht. Die CD bestellt man per Mail an imperialviennaorchestra[@]gmx.co.uk und sie kostet 10 Britische Pfund + Versandkosten.
Uwe Aisenpreis, November 2017