Die Bühnenbilder einer Aufführung der Metropolitan Oper 1932 (mit Maria Jeritza in der Titelrolle) zeigen für den 1. Akt einen freien Platz mit Kneipe und dem Haus des Alkalden, im 2. Akt einen großen Innenraum im Haus des Alkalden. Das Einheitsbühnenbild der Petersburger Aufführung orientierte sich an letzterem.
Nach langwierigen Bemühungen ist es mir endlich gelungen, einen (Amateur)-Video Mitschnitt der St. Petersburger Aufführung der
Donna Juanita
aus dem Jahre 2006 zu erhalten. Meine Hoffnung, dass der Audio Mitschnitt, den ich schon vor Jahren erhalten hatte, nur einen geringen Teil der Petersburger Aufführung abdeckt, wurde allerdings komplett zunichte gemacht. Audio Mitschnitt und Video Mitschnitt - letzterer enthält sichtbar die gesamte Aufführung - sind eins zu eins identisch, was bedeutet, dass diese Aufführung auf einer bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Bearbeitung des ursprünglichen Werkes basiert. Wie so oft liegt hier wieder einmal eine im Volksmund sogenannte "Verschlimmbesserung" eines zu Unrecht oder zu heftig kritisierten Original-Textbuches vor (siehe hierzu auch Artikel:
Donna Juanita - die große Unbekannte).
Es wäre müßig, die im wahrsten Wortsinn einschneidenden und beschneidenden Änderungen gegenüber dem Original im Detail aufzuführen, zumal Letzteres hierzulande ohnehin kaum jemand kennt (siehe aber hierzu die
Inhaltsbeschreibung
des Originals). Aber wenigsten die gröbsten Vergröberungen seien hier einmal genannt.
Die Rolle des französischen Kriegsgefangenen Gaston entfällt ganz, dafür wird dann die Gastwirtstochter Petrita mit einer Person verbandelt, die mit dem öffentlichen Schreiber des Originals, Riego, eine gewisse Ähnlichkeit aufweist. Anzug, Aktentasche und einige Papiere, die er vorweist, weisen ihn als schreibkundig aus. Leider entfällt somit auch die urkomische Situation, in welcher der Alkalde ein Auge auf Petrita, seine Frau Olympia ein Auge auf Gaston geworfen hat und sie beide dem Schreiber gleichzeitig ein Brieflein an die jeweils Angebeteten diktieren, während jene ebenfalls zur gleichen Zeit eine Eifersuchtsszene hinlegen. Dieses im Original in bester italienischer Buffo-Manier geschriebene Quintett wird in der Bearbeitung bis auf den Rumpf verstümmelt und man fragt sich, warum es überhaupt noch gesungen wird.
Der Schreiber hat aus seinen Papieren irgendwann eine wichtige Botschaft aus Madrid angekündigt, die von einer Donna Juanita überbracht werden soll. Dieses Wissen macht sich Juan (im Original René), ein Bruder des heimlich aufrührerischen Schreibers, zunutze. Er ist als Spion in die von den Engländern besetzte Stadt eingedrungen und nach ihm wird gerade gefahndet. Bei seiner Entdeckung gibt er sich dann in Frauenkleidern als jene Donna Juanita aus. Das Ganze wird in einem Ensemble dargestellt, das sich aus einem ganz kurzen Teil des Original-Finales I und dem Vorspiel zur Introduktion des im Original II. Aktes zusammensetzt. Das ursprüngliche Finale I wird übergangen (es gibt einen direkten Übergang in Introduktion einschließlich Serenade des II. Aktes) und der erste von insgesamt nur zwei Akten endet nach vielen Dialogen, einem Tanz und einem Streitterzett ohne ersichtliche Dramaturgie.
Im zweiten Akt tritt noch die echte Donna Juanita auf und man streitet sich, welche von beiden nun der Spion ist. Dies wird in schier endlosen Dialogen abgehandelt und letztlich kommen sich die beiden Kontrahentinnen sogar näher; Juan deckt auf, dass er keine Frau ist und die beiden verlieben sich ruckzuck ineinander. Den genauen Sachverhalt konnte ich allerdings nicht ausmachen, da ich die russischen Dialoge nicht verstehen kann. Und damit die Beiden auch noch etwas zu singen bekommen, hat man ihnen das Kinder-Duett aus dem originalen III. Akt unterlegt. Auch Olympia bekommt noch ein Duett mit dem Wirt, in den sie sich anscheinend (statt in Gaston) verguckt hat und dieses wurde der bekanntesten Nummer des Boccaccio
entnommen, nämlich "mia bella fiorentina". Nach einem scheinbar unentwirrbaren Durcheinander, welches wohl die Verschwörungsszene, das Einlassen der als Pilger verkleideten Verschwörer und das Jamaika-Fest des ursprünglichen III. Aktes abdecken soll, löst sich alles mit einem schnellen, maurischen Tanz zum happy end auf, wobei ohne den Schlussdialog zu verstehen nicht mal ganz klar wird, was mit dem Besatzer Sir Douglas und dem kollaborierenden Alkalden geschehen ist; beide hatten kurz vorher noch ein flottes Tänzchen aufgelegt.
Unter einer solchermaßen zusammengestauchten Handlung mussten zwangsläufig auch die Musiktitel leiden. Wie auch das Quintett wurden die Finali I und II auf rudimentäre Elemente zusammengekürzt; dem fiel leider auch das heroische Revolutionsthema "Caira" zum Opfer ebenso wie das Kampflied des Gaston mit seinem effektvollen Marsch. Weiterhin fehlen das Entree des Evangelista (Schreiber), das Auftrittsduett des Alcalden mit Sir Douglas und das gesamte Finale III, um nur die wichtigsten Titel zu nennen.
Dass die ganze Aufführung auch noch unter einer phantasielosen Regie, einer Einheits-Kulisse und einer stümperhaften Choreographie litt, sei nur am Rande bemerkt. Lediglich Sängerinnen und Sänger sowie das Orchester machten einen guten Job. Ein weiteres großes Manko dieser Inszenierung ist die Tatsache, dass die Rolle der Donna Juanita von einem Mann dargestellt wurde. Dadurch geht der ganze erotische Reiz dieser "Frau als Mann in Frauenkleidern" zugunsten eines Charleys Tante Klamauks verloren und die Titelheldin wird zur Witzfigur. Der Sänger der Titelrolle war zwar bemüht, durch übertrieben männliche Bewegungsabläufe in Frauenkleidern so etwas wie eine besondere Komik in die Rolle zu bringen, aber gemessen an diesem "Trampel" Juanita ist Charleys Tante eine Dame.
Nur wenig besser sieht es mit einer Rundfunkproduktion des Russischen Rundfunks aus dem Jahre 1968 aus, die ich vor einiger Zeit von einem Sammler erhalten habe. Auch diese Fassung ist stark überarbeitet und beginnt nach einem langen, einführenden Monolog mit dem Auftrittsduett Alkalde/Sir Douglas und verzichtet dabei sogar auf den rassigen Eingangs-Bolero. Das genannte Duett, das ich ursprünglich aufgrund des Klavierauszuges und einer wenig gelungenen Modifizierung in einer Galathée-Bearbeitung als eher belanglos eingestuft hatte, kommt durch die hervorragende Interpretation der beiden Sänger wesentlich besser zur Geltung. Insgesamt weist die Rundfunkversion mehr Anteile an den beiden Finali auf, jedoch scheint auch dort das Finale I auf der gleichen Überarbeitung zu basieren wie die Petersburger Fassung. Auch dieses Finale verzichtet leider auf das revolutionäre Caira, schließt aber wie im Original die Reminiszenz auf Gastons Kampflied mit ein; das Lied selbst fehlt aber auch hier. Dafür ist das Quintett ausführlicher, wenngleich nicht vollständig; aber es enthält immerhin die köstliche Briefsequenz. Die Rundfunkfassung stellt somit eine wertvolle Ergänzung zur Petersburger Aufführung dar, aber es bleiben noch viele Wünsche offen.