A_Lobby

Franz von Suppé hat keine Lobby

Der renommierte Operettenexperte Kevin Clarke schildert in der Einleitung zu seinem Aufsatz aus dem Jahr 2006 Aspekte der Aufführungspraxis oder: Wie klingt eine historisch informierte Spielweise der Operette? die Entstehung der Begrifflichkeiten "Goldene/Silberne Operette" so:

[…] Für die Nazis war die von amerikanischen Tanzrhythmen durchtränkte Jazz-Operette … "entartet", weswegen sie die älteren Werke von Johann Strauss (Die Fledermaus 1874, Eine Nacht in Venedig und Der lustige Krieg 1876, Der Zigeunerbaron 1885), Karl Millöcker (Gräfin Dubarry 1879, Der Bettelstudent 1881, Gasparone 1884, Der arme Jonathan 1890) und Carl Zeller (Der Vogelhändler 1891, Der Obersteiger 1894), die überwiegend auf dem Rhythmus des Wiener Walzers basieren, als "Golden" bezeichneten …

Abgesehen davon, dass hier einige Jahreszahlen nicht stimmen stellt sich die Frage, wieso fehlt in dieser Aufzählung Franz von Suppé? Selbst wenn man berücksichtigt, dass die (nennen wir sie hier besser) klassische Operette nicht gerade Clarkes Themenschwerpunkt ist, bleibt rätselhaft, wieso er Suppé vergessen konnte. Hat er doch andererseits dieses Loblied auf die neu herausgekommene Suppé-Biographie geschrieben (siehe hier).

Die Biographie erschien allerdings erst 2007. Kann es sein, dass bis dahin Suppé schon aus dem kollektiven Gedächtnis gestrichen war? Nur so wäre z. B. ein anderer Artikel aus dem Jahre 2006 zu erklären, in welchem Wilhelm Sinkovicz in der Zeitschrift Die Presse (14.07.2006) die Entstehung der Wiener Operette wie folgt beschreibt:

[…] So hatte die Geschichte der Wiener Operette übrigens auch begonnen: Um den Walzerkönig davon zu überzeugen, ins Theatergeschäft einzusteigen, hatte man ohne sein Wissen einigen seiner Melodien Texte unterlegt und im Theater an der Wien inszeniert. Erst diese geheime Privatvorstellung überzeugte Strauß davon, dass in ihm ein Operetten-Meister stecken könnte. Spätestens mit der "Fledermaus" von 1874 war dann die ganze Welt davon überzeugt.

Da weiß es sogar die Webseite für Kinder und Jugendliche, Musical & Co., besser, die übrigens auch von Kevin Clarke mit betreut wird:

Wegbereiter: Franz von Suppé - Johann Strauß erntet Weltruhm

Und diese, sogar plakativ gesetzte, Aussage trifft eigentlich den Nagel auf den Kopf. Aus den einschlägigen Biographien wissen wir sehr wohl, dass nach den Anfangserfolgen des ansonsten eher unbekannten "kleinen Angestellten" Suppé "ganz Wien" auf eine Operette des damals schon weltberühmten Johann Strauß gewartet und als diese dann endlich erschien auch entsprechend bejubelt hat - ebenso auch fast alle nachfolgenden Werke. Allerdings blieb auch die eine oder andere Enttäuschung nicht aus. Und spätestens mit seinen Welterfolgen Fatinitza und Boccaccio konnte Suppé dann vorübergehend aus dem Schatten des übermächtigen Johann Strauß heraustreten. In einem Operettenführer Ende des 19. Jahrhunderts war Suppé sogar noch mit 11 Operetten gegenüber Millöcker mit 7 und Strauß mit 6 Operetten, vertreten. Aber aus noch unerfindlichen Gründen muss er dann in der Folgezeit wieder vom strahlenden Licht in den Schatten zurückgedrängt worden zu sein.

Es gibt immer wieder Stimmen, die diesen Zustand bedauern und sich eine größere Aufmerksamkeit gegenüber Suppé und seinen Werken wünschen, wie einige der auf diesen Seiten angeführten Zitate bekunden. Aber wie sieht stattdessen die Realität aus?

Im Jahr 2010 ist das 150-jährige Bestehen der Wiener Operette trotz entsprechender Hinweise am deutschen Rundfunk sang- und klanglos vorbeigegangen. Auch in Wien selbst hat man trotz prominenter Fürsprache davon keine Notiz nehmen wollen und das obwohl (oder weil?) man noch zwei Jahre zuvor die 150-jährige Wiener Operettentradition, bezogen auf die Wiener Erstaufführung der Verlobung bei der Laterne, mit einem Gala-Abend in der Wiener Volksoper gefeiert hatte.

Ein ebenfalls prominenter Vorschlag, bei den alljährlichen Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker, statt alle Jubeljahre eine der allbekannten Suppé Ouvertüren auch einmal etwas anderes von Suppé ins Programm aufzunehmen, wurde vom Orchester abgelehnt.

Seit 1975 gibt es keine neue Gesamtaufnahme des Boccaccio mehr.

Rundfunkeinspielungen einer Suppé-Operette gab es zuletzt 2006 mit Pique Dame. Davor gab es 16 Jahre lang Pause. Vor dieser Zeit hatte sich vor allem der WDR um die Einspielung von weniger bekannten Suppé-Werken verdient gemacht.

Die einzige Suppé Gedenkkstätte befindet sich im österreichischen Gars am Kamp (www.zeitbruecke.at) . Man muss zweimal Hingucken, um zu bemerken, dass es sich hier auch um Franz von Suppé dreht. Und die auf der Webseite zu findenden Informationen sind dann doch äußerst dürftig. In Gars am Kamp findet jährlich eine Opern Freiluft Aufführung statt. Der Herausgeber der Suppé Biographie, Prof. Dr. Manfred Wagner, musste in seinem Vorwort erst anmahnen, dass man dort, in der ehemaligen Sommerresidenz des Franz von Suppé, auch einmal ein Werk von ihm spielen könne, bis dies dann 2010 mit einer Boccaccio Inszenierung endlich einmal geschah.

In dieser Theatersaison ist im gesamten deutschsprachigen Raum kein einziges Werk Suppés auf der Bühne. Und das war in den vergangenen Jahren, zumindest auf deutschen Bühnen, nicht viel besser. Die Aufführung von Fatinitza in Mainz bildete da die große Ausnahme, aber leider wurde dort die Chance auf Wiederbelebung durch eine unflätige Regiearbeit zunichte gemacht (siehe auch Fatinitza in Mainz). Bezeichnend für die Präsenz Suppé'scher Werke auf deutschsprachigen Bühnen ist die Tatsache, dass eine Boccaccio Inszenierung, so es denn eine gibt, in operabase unter "Neuheiten und Raritäten" aufgelistet wird.

Die Dresdner Staatsoperette, die in den letzten Jahren allein drei Johann Strauß Operetten (nach eigenen Worten) wieder "ausgegraben" hat und Strauß Operetten ständig im Programm führt, hat dagegen die letzte Boccaccio-Inszenierung 2009 in die Hände eine Regieanfängerin gelegt. Neben den drei Dresdner "Ausgrabungen" (Das Spitzentuch der Königin, Prinz Methusalem, Carneval in Rom) gibt es von anderer Seite mindestens noch fünf weitere: Der lustige Krieg, Simplicius, Fürstin Ninetta, Jabuka, Die Göttin der Vernunft. Dagegen hat sich noch niemand gefunden, den vom Suppé Biographen H.D. Roser wärmstens empfohlenen Teufel auf Erden wenigstens konzertant aufzuführen oder einer der Empfehlungen des Volker Klotz zur Wiedererweckung einiger Suppé Werke (empfohlen sind immerhin neun) zu folgen.

Es soll hier nicht versucht werden, einen Komponisten gegen den anderen auszuspielen, aber die genannten Fakten beweisen doch eines: Johann Strauß zum Beispiel hat eine mächtige Lobby, Franz von Suppé hat keine.

Uwe Aisenpreis, 25.01.2014
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